Hildegund Lohmann-Becker, die Grande Dame der Gesangspädagogik, ist nicht mehr.
Am 31. Januar ist sie friedlich an der Hand ihrer fürsorglichen Betreuerin Matylda in ihrem Wiesbadener Haus entschlafen. Zurückblicken konnte sie auf ein Leben ganz im Dienst der Gesangskunst, sowohl als aktive Interpretin als auch als Pädagogin.
1922 als Tochter eines Lehrerehepaares in Aschaffenburg geboren, wurde sie während des 2. Weltkrieges in den Arbeitsdient nach Sachsen verpflichtet, wo sie bei dem großen Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945 unter Trümmern verschüttet und nur per Zufall von ihrer Schwester Gertrud in der zerstörten Stadt gefunden wurde, jedoch in verwirrtem Zustand und mit dem Verlust ihrer Stimme! Nach ca. einem dreiviertel Jahr der Rekonvaleszenz entschließt sie sich zu einem Schulmusikstudium in Dresden, das sie mit dem Staatsexamen abschließt. Bereits 1948 macht sie (ebenfalls in Dresden) das Konzert- Examen mit der Künstlerischen Reifeprüfung in Gesang. Schließlich nimmt sie ein Engagement als Spielaltistin an der Bühne in Brandenburg an der Havel an.
Um ihr Gesangsstudium fortzusetzen bzw. aufzubauen, mit einer speziellen Ausrichtung auf Stimmpädagogik und Liedgesang, gelangte sie 1951 auf Empfehlung zu Prof. Paul Lohmann in Wiesbaden. Dass sich dieser Weg gelohnt hatte, konnte sie sich und dem Publikum letztlich beweisen – mit Liederabenden und Konzerten in vielen europäischen Städten einschließlich Istanbul. Bereits 1957 stellte Prof. Lohmann uns jungen Studenten ein „Fräulein Hildegund Becker“ als seine Assistentin vor. Damit begann ihre Laufbahn als Stimmbildnerin, an der Staatl. Hochschule für Musik in Frankfurt am Main bis hin zu ihrer Ernennung als Professorin 1979. Zwischenzeitlich aber avancierte sie 1962 offiziell zur Mitarbeiterin der Professoren Franziska Martienssen-Lohmann und Paul Lohmann bei den internationalen Musikfestspielen in Luzern, bei Gesangskursen in Berlin, Paris und in Skandinavien. 1972 heiratete sie Paul Lohmann.
Nach dem Tod von Paul Lohmann (1981) gründete sie die „Paul und Hildegund-Lohmann-Stiftung für Liedgesang e.V., Wiesbaden“ mit der Zielsetzung der Förderung junger Sänger, des Liedgesangs, der Erhaltung und des Ausbaus der Verbreitung der Lohmann’schen Stimmbildung.
Parallel dazu reiste Frau Prof. Hildegund Lohmann-Becker (nun in Eigenregie), unermüdlich zur Durchführung von Symposien und Stimmbildungskursen in die Schweiz und Skandinavien. Nur wenig Zeit für das Privatleben ließen ihr z.B. die Vorbereitungen für die (damals noch 3x jährlich stattfindenden) Lohmann-Symposien im Gemeindehaus von St. Mauritius, Wiesbaden, sowie ihre fachlich äußerst ausgefeilten Vorträge, gesammelt und ediert vom Schott-Campus-Verlag unter dem Titel „Hören-Wahrnehmen-Wissen“. Viel Zeit und Wissen investierte sie ebenfalls in die folgenden zwei Buchbände: „Singen ist eine Sprache der Seele“ (Erinnerungen an Paul Lohmann), Peters Verlag, und „Handbuch Gesangspädagogik: Stichworte zu Theorie und Praxis“, Schott Verlag.
Nicht vergessen zu erwähnen möchte ich unsere Bewunderung für ihre spontane Fähigkeit, eigene Schüler sowie die von Paul Lohmann während des Unterrichts auf dem Flügel zu begleiten.
Und so hat sich der Kreis eines bis an den Rand des Fassungsvermögens gefüllten Künstler- und Pädagoginnen-Lebens geschlossen. Dankbar wollen wir die Staffel weiterreichen an die uns ablösende Generation.
Verfasst von Gisela Bonhard-Roeder